Menschen bestellen sich im Jahr 2009 ein Mobiltelefon, das sie noch nie wirklich in den Händen gehalten haben. Die gleichen Menschen bestellen sich im Jahr 2016 ein Auto mit Elektroantrieb und der Möglichkeit sich von diesem Fahrzeug autonom durch die Lande fahren zu lassen, ohne jemals eine Probefahrt gemacht zu haben. Nebenbei stimmen Teile dieser Menschen dann auch für den Brexit, ohne genau zu wissen welche Konsequenzen dies hat. Warum machen die Menschen das? Sie glauben. Sie glauben den Versprechungen einer ausgeklügelten Marketingstrategie oder eines redegewandten Populisten um das Leben einfacher, unkomplizierter und komfortabler zu gestalten. Der historische Roman “Unter dem Banner des Kreuzes” von Astrid Fritz, erschienen bei Rowohlt/Wunderlich zeigt, dass sich die Mechanismen eines ausgeklügelten Marketings in den letzten 800 Jahren kaum verändert haben und das Fragestellungen, mit denen wir uns immer noch beschäftigen, schon im Jahre 1212 ein Thema waren. Anna, Tochter eines Schusters aus Freiburg, siebzehn Jahre jung, schlecht behandelt vom Vater, hat die Nase gestrichen voll von ihrem Leben. Sie erliegt den Versprechungen des Wappenknechts von Nikolaus, einem vermeintlich erleuchteten Hirten und begibt sich zusammen mit anderen Jugendlichen und Kindern auf eine Pilgerreise, um Jerusalem zu befreien, ohne eine Ahnung zu haben, welche Konsequenzen dies für ihr zukünftiges Leben hat. Zu Fuß, ohne Waffen, allein durch den Glauben soll das Unterfangen gelingen. Historisch betrachtet ist die Geschichte von Anna und ihren Glaubensgenossen in das Zeitalter der sogenannten “Kinderkreuzzüge” um 1212 einzuordnen. In frei zugänglichen Quellen finden sich nur wenige Informationen darüber, wie diese Kinderkreuzzüge stattgefunden haben. Gesichert scheint zu sein, dass sich einige tausend Kinder und Jugendliche auf den Weg in das “gelobte Land” gemacht haben, um dieses kampf- und waffenlos von den Sarazenen zu befreien. Weiterhin gilt es als gesichert, dass dieser Kinderkreuzzug bereits in Genua endete, da entgegen des Versprechens des Hirten, sich das Meer nicht teilte. Viele Pilger sind dann in Genua geblieben, einige sind unter Hohn und Spott in die Heimat zurückgereist und einige Wenige, die sich doch auf den Weg in das “gelobte Land” gemacht haben, wurden versklavt. Astrid Fritz schafft es mit “Unter dem Banner des Kreuzes” mühelos und spannend Fragestellungen der heutigen Zeit mit denen vergangener Tage zu verknüpfen. Schustertochter Anna sieht sich neben den Herausforderungen der Pilgerreise auch den Herausforderungen einer erwachsen werdenden Frau gegenüber. Avancen von Männern, plötzlicher Tod von Freunden und Familie sowie nichtvorhersehbare Wendungen ihrer Lebenslinie fordern einiges von der Protagonistin und ihren Weggefährten. Jetzt kann man sich fragen: “Na und? Auf so einen Firlefanz fällt doch heute keiner mehr rein.” Weit gefehlt, auch heute greifen die Mechanismen des menschlichen Schwarmverhaltens, das sich Marketingabteilungen und extreme Populisten zu Nutze machen. Heute werden Mobiltelefone und Autos alleine auf Basis von gut gestreuten Informationen gekauft. An Partys oder Demonstrationen nimmt man auf Basis ungefilterter Facebook Einladungen teil. Shitstorms und Sexting sind eher die Regel, als die Ausnahme. 1212 begab man sich aus den gleichen Gründen auf eine Pilgerreise oder Kreuzzug. Shitstorms wurden mündlich ausgetauscht und Sexting wurde mit dem Schwert und der Faust, anstelle von Gerichtsverfahren beendet. Genau deshalb wenden sich insbesondere in unserer aktuellen Zeit Menschen extremen Richtungen zu, ohne den Informationsgehalt von Nachrichten geprüft zu haben. Der Grund ist der Gleiche geblieben: Angst vor der Zukunft, Angst vor dem Ungewissen. Astrid Fritz schafft es mit “Unter dem Banner des Kreuzes” vortrefflich dem Leser aufzuzeigen, das Mechanismen und Probleme aus dem Jahr 1212 sich bis heute – leider – nicht geändert haben. Ein “LeseGenussMuss”.
Buchinformationen:
Astrid Fritz – Unter dem Banner des Kreuzes
Rowohlt/Wunderlich
ISBN 978-3805251006